Dienstag, 2. Februar 2021

Kleiner Lagebericht

 


„Mangelhaft“ – das steht auf der App meiner Fitness-Uhr, wenn ich auf das Schlafsymbol drücke. „Wenn Sie weniger als drei Stunden schlafen, kann ich Ihnen nichts über die Qualität Ihres Schlafes mitteilen“. Ach, wirklich? Brauchst Du auch nicht, doofe Uhr, wenn ich weniger als drei Stunden schlafe, dann weiss ich auch selber, wie mein Schlaf war – mangelhaft! Seit Wochen lief und läuft das so. Es gibt auf der Uhr keinen Modus „junge Mutter“ (wobei sich das „jung“ hier auf das Muttersein bezieht und nicht auf mein Alter) – das müsste man dringend ändern. 

Am 30. Dezember 2020 war mein Tag super organisiert: Mein Mann würde mit den Kleinen rausgehen, während ich in Ruhe duschen konnte – oh yeah!!! – gepackt für Sylvester bei den Schwiegereltern hatte ich schon, ich musste nur noch zur Post vor dem Mittagessen, easy-peasy. Bevor meine Jungs in den Park los gingen, bat ich meinen Mann, noch das Flusensieb der Waschmaschine zu reinigen – zum perfekten Plan des Vormittages gehörte noch die Tumbler-Wäsche, die genau zur Abfahrt fertig sein würde – frische „Nuschelis“ für den Kleinen, wohlriechende Wäsche, und ein biiiisschen vom schier exponentiell wachsenden Wäscheberg abtragen. Die Waschmaschine lief, ich putzte die Zähne, freute mich auf die Dusche. Bei Paul hatte ich mir das Mantra angewöhnt: „es ist ein guter Tag, wenn man die Zeit findet, zu duschen“. Bei Basti hatte ich dies irgendwie auf zwei bis drei Tage ausgedehnt. Wasser sparen und Lockdown – da kann man auch mal mehr Desodorant ranmachen. Um so mehr freute ich mich auf das warme Wasser. Aber während ich mich vom Surren der Elektro-Zahnbürste einlullen liess, hörte ich ein unheilvolles Plätschern. Oh nein. Die Waschmaschine lief aus. Und lief und lief und lief. Und während ich Handtuch um Handtuch auswrang, den Wischmob und einen Eimer holte, versuchte, die undichte Stelle zu finden, brach es aus mir heraus. Ich weinte, tobte, schrie, haute vor Verzweiflung auf den Boden. Der Tropfen, der mein 2020 Fass zum Überlaufen brachte, das war er. Ich konnte nicht mehr, es war zuviel. Nach 45 min putzen und heulen hatte ich die Maschine wieder unter Kontrolle und mich auch soweit, dass ich den Tag irgendwie fortsetzen konnte. Und während ich dann den Tag, die darauffolgende, sehr „mangelhafte“ Nacht und schlussendlich auch das Jahr 2020 hinter mich brachte, versuchte ich immer wieder, mal ein bisschen in mich zu gehen und herausfinden, was mich da so ausser Kontrolle gebracht hatte. Schliesslich musste ich doch eigentlich dankbar sein für unsere privilegierte Situation zuhause: Mann im Homeoffice, also eigentlich immer erreichbar, Babysitterin mehrmals die Woche zur Unterstützung, eine super schöne Wohnung und Umgebung. Und mein grösstes Glück, das am 8. Mai das Licht der Welt erblickt hatte – Bastian Raphael, der wunderbar gedeihte, lachte und sich in unserer Familie wohlfühlte. 


Ein neues Jahr begann, ein hoffnungsvoller Anfang, wir waren ja einfach Alle so froh, dass 2020 vorbei war. Und noch immer dauert die Hoffnung an. Es geht einfach nicht anders – ich kann nicht nicht hoffnungsvoll sein. Aber manchmal kommen sie wieder, die dunklen Wolken. Da Lesen im Moment überhaupt nicht drin liegt zeitlich, habe ich Hörbücher für mich entdeckt. Beim Spazieren, aufräumen, Haushalt geht das sehr gut. Das Buch, das ich am liebsten hörte in letzter Zeit, war „Familienkompass“ von Nora Imlau. Es geht dabei darum, dass man als Familie sich einen eigenen Nordstern sucht und sein Familienleben und den Umgang mit den Kindern danach richtet… Ich kann dieses Buch wirklich nur wärmstens empfehlen, da Nora Imlau auf sämtliche Guru-Attitüden verzichtet und auch immer wieder erzählt, wie sie selber an ihren guten Vorsätzen scheitert. Am meisten mochte ich am Buch den durch und durch wohlwollenden Ton – ich hatte das Gefühl, genau verstanden worden zu sein und kam nach jedem Spaziergang mit Basti in der Trage und Nora im Ohr gut gelaunt nachhause. Und was ich hörte, war vor allem eine Nachricht: „Du bist gut genug“. Und das ist etwas, an dem ich rumkaue und versuche, auf 2020 zu übertragen und in Zukunft anzuwenden. 


Jetzt sind wir schon im Februar, vor genau einem Jahr spielte ich mit dickem Bauch im Sadthaussaal Winterthur mein Schubert Programm, der Höhepunkt meiner Schubert Tournee in der Schweiz. Im Januar 2020 war die CD dazu herausgekommen und ich war so glücklich darüber. Auch über die Konzerte in der Schweiz und ganz besonders über den Abend in Winterthur. In jedem Ton war ich dabei, in jeder Melodie fand ich mich wieder, ich war eins mit der Musik, die mich durch tiefe Täler und Klangwelten führte, die ich nur bei Schubert finde. Ich war euphorisch nach der Tournee, super müde, aber voller Tatendrang. Mit Ideen für eine Konzertreihe, Plänen für einen Versand der CD an die Fachpresse, auch ein kleines Video Interview zur CD sollte es noch geben – und dann kam der Lockdown. Und anstatt wie viele Musiker-Kollegen sich mit plötzlich zu viel Zeit zuhause eine Challenge zu suchen, war ich plötzlich eine hochschwangere Vollzeit-Mama eines Zweijährigen – denn die grösste Veränderung war, dass unsere Babysitterin erstmal auch nicht mehr kommen durfte. Und anstatt der Verwirklichung von musikalischen Ideen nachzugehen, erlebte ich, wie irgendwie mein Beruf sich aufzulösen schien, während ich bibbern musste, ob mein Mann zur Geburt im Mai in den Kreißsaal mit dabei sein könnte. Und einem kleinen Chaos-Monsterchen hinterher räumen. Kinder leben im Hier und Jetzt und das war ein Segen, denn Paul hielt mich auf dem Boden fest. Aber körperlich verlangte er so viel von mir, die ich ihn eigentlich nicht mal mehr heben durfte. Und dabei hatte ich immer noch Glück: Mein Mann war im Homeoffice, konnte mit anpacken, wenn es nötig war. Im Garten unseres Miethauses gibt es einen Sandkasten und viel Platz, so dass ab Beginn des Lockdowns alle Kinder des Hauses draussen spielten. Wir Erwachsenen hielten Abstand und die Kinder bauten Sandburgen und Zelte im Gebüsch. „Wir stehen das schon irgendwie durch“, war die Devise von uns und das taten wir ja auch. 


Was aber schon da begann, war dieses „da müssen wir durch“, das Zähne zusammen beissen, stark sein, jetzt mehr denn je. Denn: eben, es ging uns ja gut. Und rückblickend war es eben das, was mich am 30.12. zusammenbrechen liess, und was mich immer noch heimsucht, und zwar immer öfter: Das Gefühl von, ich kann jetzt nicht mehr durchhalten, ich mag jetzt nicht mehr. Es gab immer Zwischenziele, und alle erreichten wir. Mathias durfte mit zur Geburt, die Betreuung von Paul in dieser Zeit klappte wunderbar. Und Bastian kam und war gesund und so gross und schwer und von Anfang an machte er klar, dass er nicht allein sein konnte – und das musste er auch nicht. Wir zwei, Basti und ich, genossen die (coronabedingten) besuchsfreien zwei Tage im Krankenhaus. Wir waren eigentlich nur am kuscheln. Und zuhause lebte er sich gut ein, wurde von seinem Bruder freudigst begrüsst und wir murkelten und ruckelten uns ins Familienleben ein. Auch wenn Corona immer präsent war, war es im Moment der Geburt und der Zeit danach für mich völlig unwichtig. Draussen tobte die Pandemie, aber drinnen waren wir im Wochenbett in Sicherheit – das klingt komisch, aber so war es. 


Ein zweites Kind ist nochmals eine neue Herausforderung, das hatten mir so viele Freunde schon gesagt, und trotzdem hatte ich es mir nicht ganz so streng vorgestellt, wie es dann war. Auch, wenn man sich aufteilt als Eltern, gibt es keine wirklichen Ruhepausen mehr, denn man ist dann immer für ein Kind verantwortlich – also wenn wir uns bei Paul noch die nächtlichen Wachphasen aufteilen konnten, dann war das jetzt vorbei, denn oft wurde durch Bastis Weinen in der Nacht auch Paul wach, so dass der Papa zu Paul ging und ich für den Rest der Nacht mit Basti alleine blieb. Was auch irgendwie ging und geht. Aber es zehrt. Beziehungsweise: es zehrt, weil Basti zu den 80% der Babies gehört, die nicht lange am Stück schlafen. Und irgendwie wurde der Schlaf auch nicht besser, sondern es wird immer schlimmer. Und das macht mich einfach kaputt. Ich weiss, dass es dazugehört, ich weiss, dass es wieder besser wird, ich weiss, dass es einfach nur natürlich ist. Der Neunmonate-Nicht-Schlaf-Peak ist bald erreicht und hoffentlich wird es danach wieder besser. Ich versuche immer noch, optimistisch zu bleiben und ich beisse immer noch die Zähne zusammen. Aber es fällt mir irgendwie immer schwerer. 

Im Sommer fing Paul an, in die Kita zu gehen – die Eingewöhnung lief richtig gut seither ist er ein gut gelauntes Kita-Kind – es brauchte bisher kaum Überzeugung, hinzugehen. Um so trauriger macht es mich, dass er nun jeden Morgen fragt, ob er heute zur Kita gehen darf und ich ihm das verneinen muss. Seit Dezember sind die Kitas wieder zu, bzw. in Notbetreuung und wenn wir ihn in der ersten Zeit immer noch zwei Tage die Woche schicken durften, war damit Mitte Januar auch wieder Schluss. Dank Babysitterin und dem Versuch, uns aufzuteilen, dank Homeoffice, dank dem, dass ich ja eigentlich noch in Elternzeit bin, kriegen wir das irgendwie hin. Aber es fühlt sich einfach so an, als würde man sich von Ast zu Ast hangeln ohne Sicherung und ohne Landekissen – nichts ist planbar und über Kultur wird schon gar nicht mehr geredet. Jeden Morgen nehme ich mir vor, am Abend etwas „sinnvolles“ zu tun, Korrespondenz, Pläne, Ideen, Programme – aber ich kriege es nicht hin. Ich bin so kaputt, dass ich entweder ins Bett falle, oder einfach aufs Sofa sitzen muss und etwas dummes gucken will.


Ja und die Musik? Ende September und im Oktober spielte ich ein wunderbar spannendes Programm im Duo mit Saxophon. Und im Moment probe ich für ein zwar schon verschobenes aber nicht aufgehobenes Klaviertrio-Konzert. Diese Trio-Proben sind im Moment meine Wochenhighlights, wir proben mit FFP2-Masken und Abstand, aber unsere Ohren sind weit geöffnet und mein Herz jauchzt, auch wenn ich eigentlich mehr üben sollte. „Die Musik ist eben deine Berufung, nicht nur dein Beruf“, meinte Mathias, als ich ihm vorschwärmte, wie sehr ich das Proben liebte. Wenn immer ich daran denke, dass irgendwann eine Normalität zurückkehren MUSS, dass es wieder Konzerte geben wird, dann fühle ich eine Art Frühling in mir. Yoga und Zumba helfen auch. Und Beat Saber auf der VR-Brille – ein eigentlich total idiotisches, aber trotzdem extrem cooles Weihnachtsgeschenk von uns Eltern für uns selber. 


Das Schreiben tut gut. Das „Rauszoomen“ tut gut. Ich muss lernen, dass gut genug auch gut genug bedeutet. Es muss nicht alles aufgeräumt sein, wenn die Wäsche nicht zusammengelegt ist, macht es nichts. Und auch Essen bestellen ist in Ordnung. 


So oft genüge ich meinen eigenen Anforderungen nicht. Ich schäme mich, wenn ich weinend auf dem Küchenboden sitze, weil Paul gerade den Plastikmüll umgeschmissen hat, während ich versuchte, die Spülmaschine auszuräumen, Basti zu beruhigen und Wäsche einzuräumen – „kriege ich denn gar nichts hin“? Und dann fallen mir natürlich just in dem Moment alle Dinge ein, die sonst noch liegen geblieben sind; Geburtstage, die ich vergessen habe; Briefe und Emails, die ich eigentlich schon längst hätte schreiben müssen. Die Schubert CD, die immer noch kaum rezensiert auf den Versand wartet. Uff. Das war heute. Danach habe ich eine Stunde Zumba getanzt und das Schlachtfeld meinem Mann überlassen. Anschliessend ging es wieder besser. Und morgen fahre ich in meinem Proberaum und übe. 


Ich mag den Unterschied, den Susanne Mierau von Geborgen Wachsen macht: sie schreibt von „Care Arbeitstagen“ und „Erwerbsarbeitstagen“ – sowieso lese ich in letzter Zeit zwischendurch gerne einige Mama-Blogs. Denn: genauso wie mir geht es noch gaaaaaaanz vielen anderen Mamas gerade. 

Heute sagte ich nach Abschluss der online Zumba Stunde zur Trainerin: „Ich weiss, wir können und sollten uns gerade nicht beschweren, denn es geht uns ja gut, aber irgendwie tut es einfach manchmal gut, es trotzdem zu tun“. 


Ich bin unglaublich dankbar für meine Familie, mein Leben als Familie, dankbar für meinen Lebensort, unsere Situation, dankbar für meinen Lebensweg, meine Berufung. Und irgendwann wird mich auch eine überlaufende Waschmaschine nicht mehr aus der Ruhe bringen können, oder? Ich drücke die Daumen, dass die Spannung und das Zähne zusammen beissen bald aufhören. Denn es hängt einfach alles zusammen. Aber nun muss ich ins Bett, mein Kuschelchen erwartet mich…. Auf dass das „Mangelhaft“ bald ein „Gut“ wird. Gut genug. 

1 Kommentar:

  1. Liebe luisa, fühl dich fest gedrückt! Du bist nicht allein..

    Es fühlt sich nur leider nach den vielen Monaten ohne Aussicht als Eltern allein gelassen an.

    Manchmal hilft da einfach nur heulen und jammern. Ruf mich an, mein Ohr hast du :-x

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